Ringbande

Höre dir diesen Beitrag an:
0:00
0:00

JUGENDWIDERSTAND IN WISMAR

Die Wismarer „Ringbande“

 

„ZÄH WIE LEDER UND HART WIE KRUPPSTAHL“

 

Die körperliche wie ideologische Erziehung der Jugend im Nationalsozialismus traf auch auf Widerstand. Viele Jugendliche versuchten sich dem Drill und der Indoktrination zu entziehen, so die jazzbegeisterte „Swing-Jugend“ oder die im Widerstand stehenden „Edelweißpiraten“. In Wismar setzten sich Ende 1943 Ernst D., Horst Käkenmeister, Udo K., Herbert S., Paul Waade, Otto W. und Georg W. gemeinsam gegen die Hitlerjugend zur Wehr.

 

Die Jugendlichen wählten einen Ring als Symbol des Zusammenhalts, den jedes Mitglied tragen sollte, und nannten sich „Ringbande“. Sie gaben sich Namen von Jazzgrößen oder die der amerikanischen Kriminalliteratur entlehnt waren.

 

Paul Waade wurde „Chicago“ genannt, weil die Handlungen vieler Bücher, die er las, in dieser Stadt spielten. Er stammte, wie die meisten Mitglieder, aus einer Arbeiterfamilie, sein Vater war Kommunist und lebte im Exil. Alle waren bei den NS-Behörden schon negativ aufgefallen: Gaststätten- und Kinobesuche ohne Begleitung Erwachsener, „Herumtreiben“ auf öffentlichen Straßen und Plätzen während der Dunkelheit, Entziehung des HJ-Zwangsdienstes und Prügeleien mit HJ-Angehörigen waren mit Jugendarrest bestraft worden.

———

Der Treffpunkt der „Ringbande“ war die Hafenschmiede am Ziegenmarkt. Bei Schmiedemeister Schoknecht gingen Otto W. und Horst Käkenmeister in die Lehre. Hier hörten die Jugendlichen Nachrichten der BBC, die sie auch an französische Kriegsgefangene weitergaben. Beliebt war der verbotene ausländische Sender hauptsächlich wegen der Swing-Musik. Einen der Songs verdeutschen sie: „Jobb Goebbels tanzt im Wintergarten Swing. Sein Holzbein dazu wie ein Schlagzeug klingt.“ Nachts, während der Verdunklung, zog die Gruppe durch Wismar und grölte die kommunistische „Internationale“. Einige der Jugendlichen besorgten sich Pistolen. In der Schmiedewerkstatt wurden die Feuerwaffen abgefeuert, wenn Meister Schoknecht außer Haus war.

——

All diese Tätigkeiten geschahen meist spontan und aus Widerwillen gegen die Drangsalierungen der HJ oder aus Abenteuerlust. Anders im Januar 1944. Die Mitglieder der „Ringbande“ hatten von den „Edelweißpiraten“ gehört und beschlossen, mit der Gruppierung Kontakt aufzunehmen. Herbert S. und Paul Waade fuhren am 23. Januar nach Hamburg und fanden in einem Lokal auf der Reeperbahn einen Jugendlichen, der sich als „Edelweißpirat“ bezeichnete. Zu einer weiteren Zusammenarbeit kam es aber nicht. Am nächsten Tag wurden die Wismarer Jugendlichen nach und nach festgenommen. Bis auf Otto W. waren alle noch minderjährig. Paul Waade berichtete über die Verhaftung durch die Gestapo: „Die kamen morgens schon zwischen fünf und sechs Uhr. […] Ich wurde dann zum Gefängnis gebracht, in Wismar […] zwei oder drei Tage – und dann wurden wir nach Schwerin überführt.“

 

 

Das Oberlandesgericht Hamburg tagte am Schweriner Demmlerplatz erst ein Jahr später, am 24. Januar 1945. Die Jugendlichen wurden zu Haftstrafen zwischen neun Monaten und dreieinhalb Jahren verurteilt. Sie hatten Glück, denn das Gericht unterstellte ihnen zwar auch kriminelle Energie, sah aber keine politischen oder oppositionellen Beweggründe dahinter. Es befand sie eher als halbreif und unausgeglichen. Im Gegensatz dazu hatte man die „Edelweißpiraten“ brutal verfolgt und nur wenige überlebten das NS-Regime. Paul Waade erhielt ein Jahr Jugendgefängnis wegen der Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verbindung und dem Abhören ausländischer Sender. Die Strafe galt durch die Untersuchungshaft als verbü.t. Andere Mitglieder der „Ringbande“ kamen nach der Urteilsverkündung zur Strafverbü.ung in die Untersuchungshaftanstalt Hagenow, nach Hamburg-Fuhlsbüttel oder in das Jugendgefängnis Neumünster. Nach Kriegsende wurden sie im Mai 1945 freigelassen.

 

 

 

YOUTH RESISTANCE IN WISMAR

The Wismar “Ring Gang”

“TOUGH AS LEATHER AND HARD AS KRUPP STEEL”

The physical and ideological education of

youth under National Socialism also met with

resistance. Many young people tried

to elude the drill and indoctrination, such as

the jazz-loving “Swing Youth” or the “Edelweiss Pirates” who were in the resistance. In

Wismar,

at the end of 1943, Ernst D.,

Horst Käkenmeister,

Udo K., Herbert S., Paul

Waade, Otto W., and

Georg W. joined forces

against the Hitler Youth.

 

The young people chose a ring as a symbol

of solidarity, which every member was to wear, and called themselves the “Ring Gang.” They gave

themselves names of jazz greats or names borrowed from American crime fiction.

 

Paul Waade was called “Chicago” because the plots of many of the books he read were set in this city. He, like most of the members, came from a working-class family; his father was a communist and lived in exile. All of them had already attracted negative attention from the Nazi authorities: visiting restaurants and cinemas without adult supervision, “loitering” on public streets and squares after dark, evading compulsory Hitler Youth service, and fighting with Hitler Youth members were punishable by youth detention.

 

The meeting place of the “Ring Gang” was the harbor blacksmith’s shop at the Ziegenmarkt. Otto W. and Horst Käkenmeister were apprenticed to master blacksmith Schoknecht. Here, the young people listened to BBC news, which they also passed on to French prisoners of war. The banned foreign station was popular primarily because of its swing music. They translated one of the songs into German: “Jobb Goebbels dances swing in the winter garden. His wooden leg sounds like a drum.” At night, during blackouts, the group marched through Wismar, belting out the communist “Internationale.” Some of the young people got hold of pistols. The firearms were fired in the blacksmith’s workshop when Master Schoknecht was out.

All of these activities mostly occurred spontaneously and out of resentment against the harassment of the Hitler Youth or out of a thirst for adventure. Things were different in January 1944. The members of the “Ring Gang” had heard of the “Edelweiss Pirates” and decided to make contact with the group.

 

Herbert S. and Paul Waade traveled to Hamburg on January 23 and found a young man in a bar on the Reeperbahn who called himself an “Edelweiss Pirate.” However, no further collaboration took place. The next day, the Wismar youths were arrested one by one. Except for Otto W., all were still minors. Paul Waade reported on the arrest by the Gestapo: “They came between five and six in the morning. […] I was then taken to prison, in Wismar […] for two or three days – and then we were transferred to Schwerin.”

The Hamburg Higher Regional Court convened at Schwerin’s Demmlerplatz a year later, on January 24, 1945. The youths were sentenced to prison terms of between nine months and three and a half years. They were lucky, because the court also accused them of criminal activity, but saw no political or oppositional motives behind it. It found them rather immature and unbalanced. In contrast, the “Edelweiss Pirates” had been brutally persecuted, and only a few survived the Nazi regime. Paul Waade received a year in youth prison for participating in an anti-state organization and listening to foreign radio stations. The sentence was considered to have been served due to the pre-trial detention. Other members of the “Ring Gang” were sent to serve their sentences after the verdict was announced in the Hagenow remand prison, in Hamburg-Fuhlsbüttel, or in the Neumünster youth prison.

After the end of the war, they were released in May 1945.

de_DEGerman